Wie du mir so ich ihm? Der Einfluss der Führungskraft auf das Customer-Sweethearting-Verhalten ihrer Mitarbeiter
- Publikations-Art
- Kongressbeitrag
- Autoren
- Ertz, Elias
- Erscheinungsjahr
- 2017
- Veröffentlicht in
- Beiträge zur Dienstleistungsforschung 2016
- Herausgeber
- Büttgen, Marion (Hrsg.)
- Verlag
- Gabler , Wiesbaden
- Serie/Bezeichnung
- Fokus Dienstleistungsmarketing
- ISBN / ISSN / eISSN
- 978-3-658-16463-8
- Seite (von - bis)
- 115-138
Jedes Jahr entsteht allein dem deutschen Einzelhandel durch Diebstahl ein Schaden in Milliardenhöhe, was einer Umsatzeinbuße von etwa einem Prozent entspricht und angesichts der relativ geringen Margen im Einzelhandel besonders alarmierend ist. Über 20 Prozent dieser Inventurdifferenzen lassen sich den Mitarbeitern der Unternehmen zuordnen (EHI Retail Institute 2015). Noch deutlicher wird das Problem von Mitarbeiterdiebstählen bei einer internationalen Betrachtung. In den USA entsteht jährlich ein Schaden von $600 Milliarden durch Mitarbeiterdiebstahl und -betrug. Etwa 65 Prozent dieser Verluste (ca. $400 Milliarden) lassen sich dem Phänomen des Customer Sweethearting zuschreiben (Mazar et al. 2008). Hierbei geben Mitarbeiter Kunden, welche ihnen sympathisch sind, unerlaubt Rabatte oder kostenlose Waren (Brady et al. 2012). In anderen Bereichen, wie der Gastronomie, sind diesbezüglich keine Zahlen vorhanden, doch auch hier findet Customer Sweethearting statt. So werden anstelle von kleinen Getränken größere ausgeschenkt, jedoch nur die kleinen Mengen berechnet (oder Getränke werden überhaupt nicht berechnet). Selbst im B2B-Bereich sind Formen von Customer Sweethearting bekannt. So werden durch Servicetechniker Reparaturen durchgeführt, die nicht gemeldet werden oder Installateure verrichten Arbeiten, die später nicht auf der Rechnung erscheinen (Brady et al. 2012).
Deutschen Supermärkten ist die Problematik des Customer Sweethearting zwar bekannt, jedoch unternehmen die Einzelhändler wenig, um dieses Phänomen zu bekämpfen. Auch hier lässt ein Blick in die USA erkennen, dass aufgrund des dort deutlich ausgeprägteren Problems spürbar mehr für die Aufdeckung dieser Sweethearting-Dyaden getan wird. So patrouillieren Privatdetektive an den Scannerkassen, um die Kassiervorgänge zu beobachten und gegebenenfalls Einkaufswagen und Kassenbons zu kontrollieren. Zudem werden teure Videoüberwachungssysteme installiert und Scannerkassen mit Softwaresystemen ausgerüstet, die Sweethearting erkennen sollen (Tarnowski 2008; Tian et al. 2008). Diese Maßnahmen wirken allerdings primär ex post und haben ex ante allenfalls eine abschreckende Wirkung. Vorrangig präventive Maßnahmen werden nur selten beobachtet. Dabei wären weitere, kostengünstige, präventive Maßnahmen hilfreich, um langfristig Customer Sweethearting zu reduzieren. In anderen Bereichen, wie beispielsweise der Gastronomie, sind derzeit - abgesehen von strengen Kontrollen der Mitarbeiter durch die Führungskraft und Service Scripts - keine Systeme zur Bekämpfung von Customer Sweethearting bekannt.
In der Forschung wurde das Phänomen des Customer Sweethearting bislang kaum untersucht, was angesichts der großen wirtschaftlichen Bedeutung etwas verwunderlich erscheint (Brady et al. 2012). Die einzige Studie, welche sich intensiv mit dem Thema Sweethearting auseinandersetzt, stammt von Brady et al. (2012) und untersucht empirisch die in den handelnden Personen begründeten Eigenschaften sowie die organisationalen Gegebenheiten als Einflussfaktoren des Customer-Sweethearting-Verhaltens. Die Rolle der Führungskraft wurde in diesem Kontext bisher nicht untersucht, dabei erscheint ein Einfluss des direkten Vorgesetzten, als Bezugsperson der Kundenkontaktmitarbeiter im Arbeitsalltag, durchaus naheliegend.
Einflüsse, die das Führungsverhalten auf das Verhalten der Mitarbeiter ausübt, wurden bereits in sehr vielen Studien untersucht (Mikkelson et al. 2015; Tims et al. 2011; Wallace et al. 2013). Allerdings fokussieren sich diese Studien auf Einflüsse, welche positive Auswirkungen, wie beispielsweise die Unternehmensloyalität, verstärken und nur vereinzelt auf negative Verhaltensweisen, wie beispielsweise Mitarbeiterdiebstahl (Bauman et al. 2016). Diese Studien haben gemein, dass sie der Führungskraft einen großen Einfluss auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter empirisch bestätigen. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, den Einfluss des Verhaltens der Führungskraft auf das Verhalten von Mitarbeitern bezüglich negativer Konsequenzen - im Speziellen das Customer Sweethearting - zu untersuchen. Hierzu eignen sich aufgrund der häufigen Mitarbeiter-Kundeninteraktion Führungskraft-Mitarbeiterbeziehungen aus dem Servicebereich, d.h. Kassierer, Verkäufer im Einzelhandel und Servicekräfte im Gastronomiebereich.
Führungskräfte können auf drei verschiedene Arten bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter nehmen. Erstens können sie durch das vertragsrechtliche Austauschverhältnis Einfluss nehmen, indem sie Vorgaben zu einem gewissen Verhalten machen. Zweitens können sie ihre Mitarbeiter auf Basis sozialer Austauschverhältnisse beeinflussen, indem sie beispielsweise den Mitarbeitern freundlich gegenübertreten oder ihnen gewisse (un-)erlaubte Vorteile gewähren, woraufhin sich die Mitarbeiter moralisch verpflichtet sehen, sich reziprok zum Wohle des Vorgesetzten zu verhalten (Blau 1964; Buch 2014; Gouldner 1960). Drittens können sie durch ihr bloßes Verhalten Einfluss nehmen, indem sie als Vorbild fungieren. Mit anderen Worten, Mitarbeiter sehen ihre Führungskraft als Vorbild und imitieren ihr Verhalten bewusst und unbewusst. Dabei vermuten Davis/Luthans (1980), dass die Wirkung der Imitation stärkeren Einfluss auf das Mitarbeiterverhalten nimmt als direkte Weisungen.
Einflüsse auf das Mitarbeiterverhalten basierend auf Imitation und Reziprozität lassen sich mit zwei Theorien erklären, die in der Serviceforschung bislang wenig Beachtung gefunden haben. Die Theorie der Imitation geht davon aus, dass Menschen das Verhalten mächtigerer Personen imitieren, sodass zu erwarten ist, dass Mitarbeiter das Verhalten ihrer Führungskraft bewusst oder unbewusst imitieren. Die Need-to-Belong-Theorie zeigt, wie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit das menschliche Verhalten motiviert. Im vorliegenden Kontext erklärt sie folglich, wie das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sich auf das mitarbeiterseitige Verhalten gegenüber Kunden auswirkt.
Im vorliegenden Beitrag werden, ausgehend von diesen beiden Theorien, zwei konträre Wirkungspfade des Verhaltens der Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern, über verschiedene mediierende Variablen, auf deren Customer-Sweethearting-Verhalten angenommen: Zum einen ein Imitationseffekt, der bewirkt, dass Mitarbeiter das Verhalten ihrer Führungskraft nachahmen, d.h. sie imitieren Sweethearting-Verhalten, welches sie selbst durch die Führungskraft erfahren. Zum anderen ein Effekt, der aus dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit entsteht, d.h. fühlen sich die Mitarbeiter der Führungskraft nahe, so wird ihr Handeln weniger durch das Bestreben geleitet sein, alternative Beziehungen mit Kunden aufzubauen. Ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit wird vielmehr bereits durch das gute Verhältnis zum Vorgesetzten befriedigt, sodass sie das Wohl der Führungskraft und des Unternehmens dem Wohl der Kunden vorziehen. Hierbei spielt die Qualität der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, welche aus dem Verhalten der Führungskraft entsteht, eine entscheidende Rolle.
Der Beitrag dieser Arbeit zum wissenschaftlichen Diskurs besteht im Wesentlichen in den folgenden Punkten:
1. Die Führungskraft wird als wichtiger Erklärungsfaktor des Customer-Sweethearting-Verhaltens von Servicemitarbeitern eingeführt. Dieser Einfluss wird theoretisch fundiert und durch bisherige Forschungserkenntnisse gestützt dargestellt.
2. Durch die Betrachtung potenzieller zwischengeschalteter Variablen, wie beispielsweise die Qualität der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, wird herausgearbeitet, wie sich das Verhalten der Führungskraft auf das Mitarbeiterverhalten auswirkt. Damit wird erklärt, welche Mechanismen dazu führen, dass Sweethearting-Verhalten auftritt.
Um die Auswirkungen des Verhaltens der Führungskraft auf das Customer Sweethearting darzustellen, werden im nächsten Kapitel zunächst die zentralen Variablen definiert sowie die verwendeten Theorien vorgestellt. Darauf aufbauend werden auf Basis der Theorien sowie unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes Wirkungsbeziehungen abgeleitet, die als Grundlage für eine empirische Untersuchung dienen können. Aus den gewonnen Erkenntnissen werden anschließend Empfehlungen für Organisationen zu einem sinnvollen Umgang mit Customer Sweethearting gegeben
Beteiligte Personen
Beteiligte Einrichtungen
- Fg. Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensführung
- Institut für Marketing & Management
- Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
- Universität Hohenheim
- Fakultäten